Zwei Wochen Georgien, Mattias und ich, die Kinder, Leni (11) und Nele (9). Kultur und Landschaft für die Großen, etwas Abenteuer für die Kleinen. Eine Region dieser Erde kennenlernen, die sonst weniger im Fokus ist. Für uns alle einen Blick über den Tellerrand.
Der Kaukasus ist für uns noch gänzlich unbekanntes Gebiet. Unsere Sprachkenntnisse werden sich erst einmal auf „garmadschoba“ (გამარჯობა, Guten Tag) und „madloba“ (მადლობა, Danke) beschränken.
Eka bastelt für uns eine Reiseroute mit Rundum-sorglos-Paket. Für eine Reise mit Kindern möchten wir das Abenteuer lieber wohl dosiert haben. Wir sind froh, dass sie vor Ort einen Fahrer für uns ausfindig macht, der – so werden wir später merken – Georgien wie seine Westentasche kennt und uns sicher durch den, na ja, gewöhnungsbedürftigen Verkehr lotst. Als wir die vorgeschlagene Reiseroute jedoch mit unserem Reiseführer aus dem Bücherregal gegenchecken, wird uns erst einmal mulmig. In zwei Wochen einmal quer durchs Land, zwei Touren durchs Gebirge, unbefestigte Straßen? Klingt nicht so einfach mit einem Kind, das sich bereits nach zwei Kurven das Frühstück noch einmal durch den Kopf gehen ... Aber Eka ist guter Dinge und streicht nur wenig aus dem Plan.
Und dann geht es los. Der Flieger landet in den noch pechschwarzen Morgenstunden in Tbilissi (თბილისი). Mischiko (მიშიკო), unser Fahrer, holt uns ab und kutschiert uns über eine Prachtautobahn (Saakaschvili lässt grüßen) durch die repräsentativen und aufwändig beleuchteten Stadtteile am Fluss Kura (მტკვარი). Dann verlassen wir den Glitzer- und Glamourteil Tbilissis, und Mischiko bringt uns nach Gldani (გლდანი), einem Vorort, dessen gewaltige Ausmaße wir bei Nacht nur erahnen können. Die Straße hört abrupt auf. Wir halten vor einem riesigen Wohnblock. Der Eingang ist ein schwarzes Loch, dahinter ein Treppenhaus im Rohbau. Der Aufzug ist das erste Abenteuer. Im sechsten Stock wiederum erwartet uns eine perfekt sanierte, großzügig geschnittene Wohnung. Wir bekommen einen ersten Eindruck von den krassen Gegensätzen, die diese Georgienreise noch für uns birgt. Wir dürfen für ein paar Tage bei Ekas Eltern übernachten. Nicht zuletzt die Kinder freuen sich sehr, nach der anstrengenden und teilweise etwas gruseligen Nachtreise, auf die Herzlichkeit von Shorena (შორენა) und Ushangi (უშანგი) zu treffen. Wir fühlen uns endlich angekommen und fallen todmüde in die Betten.
Nach einer Mütze Schlaf wollen wir Tbilissi kennenlernen. In Georgien allerdings, das lernen wir jetzt, geht nichts, ohne eine ausgiebige Mahlzeit. Shorena hat den großen Kühlschrank vollgeladen und kredenzt uns gleich mehrere Gerichte auf einmal. Für den Stadtrundgang packt sie uns Chatschapuri (ხაჭაპური), Kuchen und Plätzchen ein. Wir werden einige Kilos mehr mit nach Hause bringen. Das ist jetzt schon klar. Dann geht es durch Tbilissis Verkehrschaos, durch die Altstadt mit ihren unzähligen verwinkelten Gassen und Prachtstraßen. Mischiko lädt uns am Hügel Mtatsminda (მთაწმინდა) ab. Wir erkunden einen Freizeitpark im Dornröschenschlaf. In der Mittagshitze haben nur ein paar Touristen den Weg hierher gefunden. Die Kinder schauen sich interessiert ein paar vollverschleierte Damen am Schießstand an und wundern sich, wie so die Nahrungsaufnahme funktioniert. Wir sind ähnlich verschlafen wie der Park, genießen die Aussicht über die Stadt, entkommen dann aber doch relativ schnell wieder der Mittagshitze, um „daheim“ in Gldani mit Shorena und Ushangi zu kauderwelschen und insbesondere viel zu essen.
Wir fahren in die Weinbauregion Kachetien. Zuverlässig zeigt Kind Nummer 2 schon nach ein paar Kilometern an, dass die Weiterfahrt wegen vorhandener Übelkeit sehr schwierig werden wird. Kein Ablenkmanöver hilft. Die erste Frühstücksportion landet im Straßengraben. Wir quälen uns noch eine Weile. Doch bald steht fest, Nele wird den Rest der Reise auf dem Beifahrersitz residieren. Ab sofort geht es ihr prächtig. In Signagi (სიღნაღი) steht das erste Kloster an (Es sollen noch sehr, sehr viele werden auf dieser Reise ...), dann Museum und Stadtrundgang. Ein Wespenstich wird gekonnt in einem Café durch Coolpack und „heilende Erde“ behandelt. Es hilft, wir stellen uns keine Fragen.
Dann geht es hurtig weiter nach Telavi (თელავი) und schließlich zu einer Weinprobe irgendwo auf dem Land. Die Winzerfamilie zeigt uns die Weingefäße, die im Boden eingelassen, für optimales Klima sorgen und in Geogiens bewegter Geschichte unzählige Male als Versteck vor plündernden Truppen dienten. Dann dürfen wir selbst Hand anlegen und mit Nüssen und angedicktem Traubensaft Tschurtschchela (ჩურჩხელა) herstellen.
Alsbald folgt die Weinprobe, bei der – wir sind im Georgien, dem Land des guten und reichlichen Essens – aufgetischt wird, was das Zeug hält. Der Wein schmeckt völlig anders als bei uns. Wir folgen dem Ritual des „Tamada“ (თამადა, Vorsitzender des Trinkgelages), der zu jedem Wein eine Kurzansprache zu Familie, Zusammenhalt, Freundschaft und all den Tugenden dieser Welt hält.
Spät abends kommen wir, ordentlich angeschickert und pappsatt bei Shorena und Ushangi an.
Ein Wort zu den Nächten in Tbilissi. Die Georgier, einschließlich Kinder, sind bis spät in die Nacht hinein auf den Straßen unterwegs. Später übernehmen die Hunde das Pflaster. Es erscheint uns viel unruhiger und lauter als am Tag. Aber das mag eine Täuschung sein, weil unsere Wahrnehmung nachts natürlich viel sensibler ist.
Erschien uns Tag 2 schon gut gefüllt, so geht es an Tag 3 erst richtig los. Mischiko besteht auf einen frühen Start. Shorena packt reichlich Proviant. Wir fahren über die alte Heerstraße direkt in den Kaukasus hinein. Dabei klappern wir gleich mehrere touristische Hotspots ab: Festung Ananuri (ანანური) und Zhinvali-Stausee (ჟინვალი, türkis so weit das Auge reicht), Travertinterrassen in der Trusso-Schlucht (თრუსოს ხეობა), Kreuzpass mit georgisch-russischem Freundschaftsdenkmal (inkl. zig Paraglidern, die sich in die atemberaubende Schlucht stürzen) und schließlich die Dreifaltigkeitskirche (Gergeti გერგეთი) mit Ausblick auf den Berg Kazbegi (ყაზბეგი). Und weil das nicht genügt, manövriert uns Mischiko noch zu einem weiteren Kloster. Er schaffte es mit viel Hupen, Diskussion und Gestikulieren fast geschmeidig durch den dichten LKW-Stau, der sich aufgrund der nahen Grenze zu Russland bildet. Uns erscheint der bombastische Klosterneubau etwas skurril, wie er da inmitten krasser und unwirtlicher Felswände, scheinbar am Ende der Welt, thront.
Heute steht die alte Hauptstadt des Iberischen Reiches Mtsketa (მცხეთა) auf dem Programm. Die Stadt liegt malerisch am Zusammenfluss der Mtkvari mit dem Aragvi, wunderschön zu sehen von unserem ersten Zwischenstop an der Jvari-Kirche aus. Die Wallfahrtskirche, von der es allerlei Überlieferungen gibt (#Hl. Nino oder #Holzkreuz), erhebt sich auf einem Hügel vor Mtsketa und wurde zusammen mit der Kathedrale Svetitskhoveli (სვეტიცხოველი) im Zentrum Mtsketas zum UNESCO-Weltkulturerbe gekrönt. Natürlich schauen wir uns auch die Kathedrale an. Eine Führung ist – gerade mit Kindern – sehr zu empfehlen, denn spannend sind die doppelten Mauern mit ihren Geheimgängen, in denen man sich bei feindlichen Angriffen versteckte. Außerdem gibt ein paar wirklich kurzweilige Legenden, z.B. über das Grabtuch Jesu, das zusammen mit .... na ja, selber recherchieren ... oder vor Ort erzählen lassen.
Wir brechen auf Richtung Borjomi (ბორჯომი). Unterwegs machen wir einen kleinen Stopp beim Stalinmuseum in Gori. Die Kinder haben, verständlicherweise nach all der Kultur der letzten Tage, keine Lust auf ein weiteres Museum. Ein paar Selfies vor Stalins Geburtshaus sollen zur Abwechslung mal reichen. Wir fahren weiter nach Tashiskari (ტაშისკარი), einem kleinen Ort, in dem Shorena und Ushangi ein Landhäuschen inkl. Tomaten- und Kürbisgarten haben. Diesmal fährt auch Giorgi, Ekas Bruder, mit. Das erleichtert die Kommunikation unterwegs erheblich. Die Kinder genießen es, deutsch zu sprechen, und wir Erwachsene bekommen eine geballte Ladung georgischer Geschichte. Zu jeglicher Ortschaft, die wir passieren, hat Giorgi reichlich Infos.
In Tashiskari fühlen sich die Kinder gleich zu Hause. Das Wichtigste: Es gibt Tiere bei der Nachbarin, Hühner, ein Hund und eine Kuh. Ein Highlight ist auch der eigene Trinkwasserbrunnen im Garten, die Hängematte und natürlich wieder die Gastfreundschaft von Shorena und Ushangi. Geht es nach den Kindern, endet hier die Rundreise.
Wir logieren immer noch in Tashiskari:
Wir sind in eine Höhlenstadt gefahren worden. Dort musste man durch viele Gänge. Die Höhlenstadt ist ewig alt. Sie ist mitten in den Berg eingebaut worden (ziemlich hoch). Von dort oben hatte man einen prima Ausblick. Aber irgendwann fing es an zu regnen und zu stürmen. Die Treppen sind dort sehr steil und nicht sehr eben. Deshalb war es ziemlich rutschig. Trotzdem war es ziemlich schön. Man konnte dort einiges sehen, z. B. eine kleine Kirche oder eine Quelle.
Es geht weiter mit Kultur, Geschichte, Legenden und natürlich Essen in Fülle.
In der Prometheus-Höhle war es super. Es ist eine riesige Tropfsteinhöhle. Die Führung hat einiges auf Englisch erklärt. Wichtig ist, wer noch nie in einer Tropfsteinhöhle war, sollte ab jetzt wissen, dass man immer eine Regenjacke anziehen sollte. Es tropft oft ganz schön. Hinaus ging es auf einem unterirdischen Fluss. Cool, die Höhle hat mir fast am besten gefallen. Schöner war es nur bei Shorena und Ushangi im Dorf.
Wieder geht es in den Kaukasus. Wir sehen georgiens größten Stausee hinter der weltweit größten Bogenstaumauer Jvari-Enguri. Das Wasser ist türkisgrün, die Berge ragen zu beiden Seiten in eindrucksvolle Höhen.
Die Kurven sind für Neles Verdauung wieder eine echte Herausforderung. Mischiko hält sie bei Laune, indem er sie alle durchfahrenen Tunnels zählen lässt (Waren es 15 oder mehr?). Natürlich halten wir sehr oft und machen unzählige Fotos. Irgendwann taucht endlich – aus dem Nichts - Mestia auf. Wahnsinn, dass man diese abgelegene Region überhaupt besiedelt hat. Noch verrückter, dass man das unwirtliche Land offensichtlich auch noch heftig verteidigen musste. Überall stehen Wehrtürme, ein echter Mittelalterflash. Wer sich die wackeligen, knarzenden Holzleitern in den Türmen hinaufwagt (ich nicht), wird mit einem gigantischen Ausblick vom ungesicherten Flachdach aus belohnt (hab ich mir sagen lassen). Ansonsten wirkt Mestia mit den verhältnismäßig zahlreichen Touristen in Trekkingklamotten wie eine Skistation in den Alpen. Wir haben eine Bleibe mit tollem Blick auf die Gletscher und genießen wieder das leckere Essen, das hier noch einmal eine ganz andere Note hat.
Abenteuerliche Straße, Legenden, Ansiedlungen im völligen Nichts. Leider ist unser Aufenthalt viel zu kurz. In Svanetien macht es sicherlich Sinn, einige Tage für eine Trekkingtour zu reservieren. Ein andermal vielleicht. Wir machen reichlich Fotos, so z.B.:
Unsere letzten Tage in Georgien wollen wir etwas verschnaufen. Wir lassen uns bei Batumi (ბათუმი) die Sonne aufs Fell scheinen. Die Schwarzmeermetropole ist eine merkwürdige Mischung aus moderner Glitzerwelt und altem, verwittertem Sovietcharme. Widersprüchlich, wie so vieles, was wir in Georgien erleben.
Zu guter Letzt nehmen wir die langsame aber sehr bequeme Eisenbahn zurück nach Tbilissi, wo uns der Flieger allzu bald auch schon wieder nach Deutschland bringt.